Herr Weber, was versteht man unter dem Begriff «Hyperscale Datacenter»?
Roger Weber: Man unterscheidet verschiedene Typen von Datacentern. Bis vor etwa zehn Jahren war der gängigste Typ, auch in der Schweiz, das Inhouse Datacenter. Man spricht auch von Enterprise Datacenter. Konkret: Ein Unternehmen besitzt und betreibt ein eigenes Rechenzentrum mit eigener Infrastruktur. Daneben gibt es Colocation Datacenter, bei denen Firmen für ihren IT-Infrastrukturbedarf in einem externen Datacenter Fläche und Kapazität mieten können und daher kein eigenes Rechenzentrum mehr zu unterhalten brauchen – teilweise werden Enterprise sowie Colocation Rechenzenter komplementär betrieben. Und schliesslich kamen vor einigen Jahren die ersten Cloud-Anwendungen auf: Sie als Unternehmen greifen auf eine Cloud zu, um eine Applikation zu nutzen, zum Beispiel eine Software-Anwendung, welche Sie für Ihre Arbeit benötigen. Die Daten in der Cloud sind letztlich in einem oder auch in mehreren verschiedenen Datacentern gespeichert, die untereinander vernetzt sind. Prädestiniert als Anbieter von Datacenter-Kapazitäten für derartige Cloud-Anwendungen waren von Beginn an Unternehmen wie Amazon Web Services (AWS), Microsoft Azure, Google Cloud und Oracle, da diese für ihr eigenes Geschäftsmodell ohnehin eine Vielzahl an teils riesigen Rechenzentren und auch Anwendungen, zum Beispiel für Big Data Auswertungen, unterhalten. Sie sind heute die global wichtigsten Anbieter, aufgrund ihrer Grösse spricht man von «Hyperscale Datacenter». Die einzelnen Rechenzentren sind hoch leistungsfähige Datacenter mit Kapazitäten ab circa fünf Megawatt aufwärts. Zu den Branchengrössen für Cloud-Dienstleistungen gehören in der Schweiz Unternehmen wie beispielsweise Equinix, Green, Interxion, NTT, Safehost und weitere Anbieter. Doch nicht nur diese Branchengrössen setzen auf public, private oder hybrid Cloud Infrastrukturen, auch Anbieter wie etwa EveryWare, Netrics oder Swisscom bieten auf dem Schweizer Markt ein umfassendes Portfolio an.
Besitzen AWS & Co. in der Schweiz eigene Datacenter?
Interessant ist, dass auch die Hyperscaler die Rechenzentren nicht immer selber besitzen und betreiben. In der Schweiz werden die Hyperscale Datacenter meist von Schweizer Firmen oder den Schweizer Tochtergesellschaften internationaler Unternehmen gebaut und betrieben. Die Hyperscaler gehen mit diesen Firmen Partnerschaften ein. Sie machen den Betreibern u. a. Vorgaben in Bezug auf das Design und Verfügbarkeiten – das betrifft beispielsweise Sicherheitsanforderungen oder Anforderungen an die Stromversorgung und Klimatisierung im Datacenter. Sie haben ein sehr grosses Mitspracherecht – ein bisschen so, wie wenn der Mieter in einem Mietshaus mitbestimmen darf, welcher Herd in die Wohnung eingebaut wird, aber auch wie der Keller ausgebaut werden soll und vielleicht sogar, wer sonst noch einziehen darf.
Weshalb sind die Hyperscale Anbieter heute in der Schweiz aktiv?
Ausgangspunkt war die Finanzindustrie. Dass der erste Hyperscaler in die Schweiz kam, lag daran, dass eine Schweizer Grossbank es zur Bedingung machte, dass ihre Daten in der Schweiz gelagert werden. Dafür war entsprechend ein Datacenter im Inland notwendig. Das war die Initialzündung. Es folgten weitere Hyperscaler.
Wie ist der heutige Boom in diesem Bereich zu erklären?
Bevor diese Welle in die Schweiz schwappte, war sie bereits in einigen europäischen Ländern zu beobachten; vor allem in den wichtigsten Grossstädten schossen Datacenter wie Pilze aus dem Boden. Hintergrund ist, dass die Datacenter zunächst einmal dorthin gehen, wo das Business ist, und das ist vorzugsweise in Metropolregionen. Man kam aber irgendwann an Grenzen. Amsterdam zum Beispiel bekam eine Stromknappheit und musste ein Moratorium für den Bau von Datacentern erlassen, das in der Zwischenzeit allerdings wieder aufgehoben worden ist. In der Folge suchten vor allem die Hyperscaler nach Alternativen. Das führte in einigen Städten in der jüngsten Vergangenheit zu einem regelrechten Boom. Zu diesen aufstrebenden Städten gehört der Grossraum Zürich mit den zahlreichen neuen und projektierten Datacentern. Zürich ist mittlerweile der sechstgrösste Standort für Rechenzentren in Europa, gemäss einer Erhebung des Immobiliendienstleisters CBRE sind aktuell knapp 70 Megawatt Leistung installiert. Die Leistung der derzeit geplanten oder im Bau befindlichen Zentren wurde in einer Recherche des Tages-Anzeigers im vergangenen Jahr mit 190 MW beziffert.
Was spricht für die Schweiz als Standort?
Hohe Rechtssicherheit, politische Stabilität, wir sind ein neutrales Land, verfügen über einen gut entwickelten Datenschutz und sehr angesehene Bildungsinstitutionen im Tech-Bereich. In der Vergangenheit durften wir zudem stolz auf eine im Vergleich sehr hohe Stromversorgungssicherheit sein. Das hat sich etwas geändert, wir kennen die Diskussionen aus den vergangenen Monaten über drohende Strommangellagen. Datacenterbetreiber ebenso wie andere Unternehmen sollten sich den damit verbundenen Risiken bewusst sein und sich entsprechend vorbereiten.
Wie ist Ihre Erfahrung, tun die Firmen das?
Aktuell stellen wir als Genuel/SCHERLER einen erhöhten Bedarf unserer Grossverbraucher-Kunden im Rahmen ihres betrieblichen Kontinuitätsmanagements fest. Ziel dabei ist es, Massnahmen zu erarbeiten, mit welchen auf den Ausfall kritischer Geschäftsprozesse reagiert werden kann, um die Auswirkungen eines Stromunterbruchs oder einer Strommangellage zu minimieren.
Worauf legen die Betreiber der Datacenter Wert?
Kurz gesagt: Logischerweise auf alles, was für den Betrieb und die Versorgung eines Datacenters relevant ist. Sicherheit gegen Cyberangriffe und physische Attacken. Zuverlässiges Kühlsystem. Konnektivität, also dass die Strukturen den berechtigten Nutzern tatsächlich reibungslosen Zugriff erlauben. Energieeffizienz und überregionale Verfügbarkeit; das bedeutet, dass die Daten und Anwendungen auch dann verfügbar bleiben, wenn ein Datacenter zum Beispiel in Paris ausfallen sollte. Für viele dieser Aspekte ist eine störungsfreie Stromversorgung ganz entscheidend.
Hier kommen USV-Systeme, also Systeme für die unterbrechungsfreie Stromversorgung ins Spiel.
In diesem Bereich geht es um die technische Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit der Anlagen, aber vor allem spielt Vertrauen eine grosse Rolle. Planungsbüros, welche mit der Konzeption eines Datacenters beauftragt werden, benötigen tiefe Einblicke in die Geschäftsprozesse sowie die Infrastruktur des Rechenzentrums, um die richtigen Sicherheits- und Verfügbarkeitsmassnahmen definieren zu können. Design Reviews, Kapazitäts- und SPOF-Analysen (Single-Point-of-Failure) sind dabei wichtige Erfolgsfaktoren, um Risiken während sowie auch nach dem Planungsprozess entsprechend einschätzen zu können.
Nach welchen Kriterien sollten Planer bei der Auswahl eines USV-Systems für ein Datacenter entscheiden?
Neben den technischen Anforderungen an die Anlage ist die Schnelligkeit der Interventions- bzw. Servicecrew im Störungsfall enorm wichtig. Der Lieferant muss ausserdem über Engineering-Kompetenz verfügen und damit in der Lage sein, seine Anlage an die gegebenen Räumlichkeiten und Infrastrukturen anzupassen. Das gilt auch mit Blick auf Themen wie Lüftungssystem oder Umweltschutzvorschriften. Daran schliesst sich an, dass ich als Lieferant auch den Dialog mit den hiesigen Behörden führen können muss. Ich muss die Regeln und Prozesse kennen, nach denen solche Anlagen eingebaut werden dürfen. Sie ändern von Land zu Land, weshalb in aller Regel national etablierte Anbieter gewählt werden. Und nicht zu vergessen, ein Planer muss auch immer die operativen Kosten betrachten – er ist also aufgefordert, energieeffiziente Systeme zu bevorzugen.
Welche Entwicklung erwarten Sie in den kommenden Jahren für die Datacenter Branche in der Schweiz?
In den letzten Jahren hat die Digitalisierung nochmals einen neuen, kräftigen Schub bekommen. Natürlich auch pandemiebedingt mit verstärkter Nutzung von Teleworking und dergleichen. Das Datenvolumen wächst rasant. Treiber sind vor allem Big Data Anwendungen, Blockchain, virtual Reality, künstliche Intelligenz und das sogenannte Internet der Dinge (Internet of Things, IoT). IoT meint, dass immer mehr Geräte in der Industrie aber auch in unserem privaten Alltag mit dem Internet verbunden werden. Die zunehmende Migration von Anwendungen in die Cloud nicht mehr nur bei grossen Firmen, sondern jetzt auch bei kleinen und mittleren Betrieben spielt eine Rolle. Für sie wird es mittelfristig immer weniger attraktiv, eigene Rechenzentren zu unterhalten. Es ist oft jetzt schon einfacher und günstiger, Cloud-Anwendungen zu nutzen. All das erfordert sehr stabile Computing-, Storage- und Netzwerkinfrastruktur in grossem Massstab. Viele gehen davon aus, dass das Datenvolumen deshalb auf absehbare Zeit jedes Jahr um etwa 25% steigen wird. Die Nachfrage nach Datacenter Kapazitäten dürfte in der Schweiz weiter deutlich wachsen.
Zur Person: Roger Weber
Roger Weber ist Co-Leiter der Fachgruppe Datacenter Infrastructure beim Branchenverband asut. Der ausgebildete Betriebswirtschafter leitet die Genuel AG, welche zur SCHERLER Gruppe gehört. Rund 200 Mitarbeitende bei SCHERLER unterstützen Kunden in der Schweiz in den Bereichen Elektro-, Licht- und Automationsplanung sowie in der Gebäudetechnik-, Brandschutz- und der Sicherheitsplanung. Kontakt: Roger Weber, roger.weber(at)genuel.ch, 041 429 11 50.
asut
Der Schweizerische Verband der Telekommunikation (asut, www.asut.ch) vertritt die Netzwerkbranche in der Schweiz und setzt sich für leistungsfähige digitale Infrastrukturen ein, wozu auch Rechenzentren gehören. Die asut Fachgruppe Datacenter Infrastructure, in der auch Avesco vertreten ist, vereint über 70 Unternehmen aus dem Datacenter-Bereich. asut gehört zu den Gründungsmitgliedern der Swiss Datacenter Efficiency Association, welche ein Label für effiziente Rechenzentren anbietet.
Interesse an Avesco Notstrom- und USV-Lösungen für Datacenter, Spitäler und Industrie? Nehmen Sie Kontakt mit uns auf: Gian Franco Broggi, Leiter Verkauf, 062 915 82 15, gianfranco.broggi(at)avesco.ch. Weitere Informationen finden Sie auch hier.